Vielleicht doch lieber nochmal drüber nachdenken, Teil 2

Bitte lest meinen gestrigen Teil 1 zuerst, damit dieser Teil 2 nicht aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch schwer verständlich wird.

Im gestrigen Beitrag hatte ich den ersten Absatz eines online-Rundbriefs zitiert und kommentiert, von dem ich mich unangenehm berührt gefühlt hatte. Heute will ich Euch nun an meinen Gedanken zu einem weiteren Teil dieses Briefes teilhaben lassen.

Vielleicht hat Euch dieses Schreiben auch auf irgendeinem digitalen oder gar analogen Weg erreicht oder Ihr wurdet in anderen Situationen schon mit vergleichbaren Argumenten konfrontiert, ohne dass Ihr die Aussagen ausreichend hinterfragt habt. Falls Ihr derartige Argumente schon gehört habt, dann hattet Ihr vielleicht auch zuerst nur ein vages Gefühl, dass hier etwas nicht ganz stimmt, fandet aber kein vernünftiges Gegenargument für Euch selbst oder die Person, die sich Euch gegenüber auf diese Weise geäußert hatte?

Es wäre schön, wenn meine Gedanken dabei helfen könnten, dass Ihr selbst die Glaubwürdigkeit derartiger Aussagen erfolgreich reflektiert. Werden wir womöglich durch Wortwahl und Gestaltung derartiger Texte unbemerkt manipuliert und schlau in eine Denkart hineinmanövriert, die nicht nur Stimmungen bildet, sondern auch Stimmen für anstehende Wahlen?

Nachdem im gestern analysierten Textteil des Rollentausch-Gedankenspiels indirekt Flüchtlingen vorgeworfen wurde, sie würden sich nicht um formell korrekte Einreisekonditionen scheren, heißt es in dem Rundbrief weiter:

„Wenn Sie dort angekommen sind, fordern Sie umgehend von der lokalen Behörde eine kostenlose medizinische Versorgung für sich und Ihre ganze Familie. Bestehen Sie darauf, dass alle Mitarbeiter bei der Krankenkasse deutsch sprechen und daß die Kliniken Ihr Essen nur so vorbereiten, sie Sie es in Deutschland gewohnt sind.“

Mhhh, also wenn es hier offenbar ein Sprachenproblem gibt, dann frage ich mich, wie jemand explizit eine Forderung nach kostenloser medizinischer Versorgung aussprechen oder verständliche Essenswünsche äußern kann.

Ist es nicht vielmehr so, dass in unserem System der medizinischen Versorgung Bedürftigen automatisch Hilfe geleistet wird? Darf man also Menschen vorwerfen, ausnützig zu sein, wenn sie sich in einem gesundheitlich angeschlagenen und damit geschwächten Zustand nicht standhaft gegen die Hilfe wehren, die andere ihnen unaufgefordert entgegenbringen?

Die einzige logische Konsequenz wäre hier, das medizinische Personal zu rügen, dass sie Kranken und Verletzten Hilfe leisten, ohne vorher korrekt deren Krankenkassenzugehörigkeit zu prüfen. Aber so weit wollen die Verfasser des Rundbriefes offenbar nicht gehen. Spricht aus diesen Zeilen etwa der Neid, dass andere Menschen einfach Hilfe und Unterstützung bekommen, die einem selbst scheinbar nicht gewährt wird? Falls derartige Gefühle bei den Verfassern des Rundschreibens vorliegen, dann sollten sie sich überlegen, ob ihnen wirklich Leistungen verwehrt werden.

Auch wenn die Massen an unversicherten, hilfsbedürftigen Flüchtlingen unser Gesundheitssystem und dessen Mitarbeiter stark unter Druck gesetzt haben und immer noch setzen, so sollten wir lieber froh sein, dass neben ihnen auch wir selbst in ein solches Versorgungssystem eingebettet sind.

Die Engpässe und Belastungen, die durch die vielen zusätzlichen Patienten aufgetreten sind, beruhen sich nicht darauf, dass verräterische, böse Mütter und Väter gedacht haben: Ätsch. Ich schicke jetzt meine Kinder auf eine monatelange Odyssee aus Dreck, Kälte und Gefahren, damit Euer Gesundheitssystem mal darunter leiden muss, wenn ihr in Eurer dummen Hilfsbereitschaft deren Frostbeulen, wundgelaufene Füße, Hungersymptome und Verletzungen versorgt.

Um Euch nicht mit Gedankenanstößen zu überfrachten und mit überlangen Texten abzuschrecken, werde ich auf den zweiten Satz des obigen Zitats (Sprachkenntnisse und Essensforderungen) erst im nächsten Beitrag näher eingehen.

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*