An der falschen Stelle angesetzt

In Beiträgen über ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern und bei der Frage, wie man diese Lücke schließen könne, wird häufig das Argument angeführt, junge Frauen seien auf der Überholspur, denn sie hätten bereits heute bessere und höhere Bildungsabschlüsse als Männer. Da stellt sich doch die Frage, inwieweit das etwas bringt, solange bei Frauen höhere Bildung und gute Noten nicht selbstverständlich als Leistung und Begabung wertgeschätzt werden.

Seid ganz ehrlich: Wenn eine Frau ein schlechtes Zeugnis hat, denkt ihr da nicht automatisch etwas im Stil von: „Naja, also die ist auch nicht die Hellste.“? Und denkt sie nicht automatisch in etwa dasselbe über sich selbst? Wenn nun eine Frau ein ausgezeichnetes Zeugnis hat, denkt ihr da nicht nahezu automatisch etwas im Stil von: „Naja, also Noten hat sie schon gute, aber das liegt nur daran, weil sie fleißig gelernt hat.“ Und was denkt die Frau selbst über sich? Na, eine Idee? „Naja, da hatte ich schon Glück bei den Prüfungen, dass zufällig immer Sachen drankamen, die ich gut konnte.“ Ja genau, der ununterbrochen wiederkehrende glückliche Zufall war’s…

Jetzt stellt Euch mal das gleiche mit Männern vor. Ganz ehrlich, wer hat noch nie aus dem Munde eines männlichen Dreier-Kandidaten gehört: „Bah. War ich früher ein fauler Hund!“ Damit ist allen Beteiligten, dem betroffenen Mann eingeschlossen, klar: Hätte er früher mehr gelernt, hätte er ein tolles Zeugnis. Er wäre natürlich niiiiiiiie an seine Grenzen gekommen, denn er ist ja an sich ganz ein Schlauer – nur halt nicht ganz so ein Streber wie die Einser-Weiber. Und wenn ein Mann nun tatsächlich ein Einser-Kandidat war, dann sicher nicht, weil er eine blöde Streber-Sau war. Natürlich gab es auch keinen immer wiederkehrenden glücklichen Zufall in Prüfungssituationen. Nein, der ist einfach echt hochbegabt. Eine echte Leuchte. Ein High Potential.

Langer Rede kurzer Sinn: Glaubt Ihr ernsthaft, es wäre möglich, die Verdienstlücke von Frauen zu bekämpfen, wenn tief in unseren Köpfen solche Bilder stecken, die Frauen und Männer derartig unterschiedlich wahrnehmen lassen? Erstmal müssen wir verstehen, welchen falschen Glaubenssätzen wir alle regelmäßig aufsitzen. Die fachlichen Argumente und statistischen Daten, die heutzutage ständig angeführt werden, werden erst danach Wirkung entfalten können.

 

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